Der Stiftsgarten Bern – ein städtischer Raum für ökologische und kulturelle Vielfalt

Von der Vision zur Umsetzung – die Entwicklung des Stiftsgartens

Seit 2013 widmet sich die Initiantin des Stiftsgartens, Angela Losert, nun schon dem Projekt. Das 22 Are grosse Gelände war über vier Generationen in Familienbesitz und blieb anschliessend für drei Jahre ungenutzt. Um das verwilderte Areal wieder bepflanzen zu können, brauchte es zunächst jede Menge tatkräftige Hände und ehrenamtliche Helfer/Innen. Stück für Stück wurde im Herbst 2013 mit der Wiederinstandsetzung begonnen und erst 2017 waren die wichtigsten umfangreichen Sanierungsarbeiten abgeschlossen. Das Ergebnis kann sich dafür umso mehr sehen lassen. Seit Frühling 2018 ist der Garten vollständig bepflanzt und jetzt im Sommer fühle ich mich hier jedesmal wie im Urlaub, sobald ich ihn betrete.

Die Weinreben und üppig wachsenden Kräuter an den hohen, Wärme abstrahlenden Mauern erinnern mich eher an das südliche Italien und auch der Trubel der Stadt ist hier nur entfernt wahrnehmbar. Dazwischen immer wieder Wiesenstücke, wo Mohn- und Kornblumen gemeinsam mit anderen Wildpflanzen um die Wette leuchten. Den Blick auf die belebte Kirchenfeldbrücke aus der Fernperspektive und den grossen Turm des Berner Münsters direkt über mir, habe ich hier beim gemeinschaftlichen Gärtnern die Stadt noch einmal ganz neu kennen- und schätzen gelernt.

Spezialisiert hat sich der Stiftsgarten auf den Anbau von Beerenfrüchten in all ihren Facetten. Hier wachsen Trauben, Heidelbeeren, Andenbeeren, Johannis- und Stachelbeeren, daneben aber auch wilde Strauchbeerensorten wie Holunder, Sanddorn, Schlehe oder Hagebutte. Nicht zu vergessen sind zudem die Gemüsebeeren wie Tomate, Kürbis oder Aubergine, an die wir bei dem Wort „Frucht“ eher selten denken. Die Gartenarbeit im Stiftsgarten geschieht nach den Grundsätzen eines biologischen und naturnahen Anbaus, mit dem zusätzlichen Schwerpunkt zur Erhaltung und Vermehrung alter Kulturpflanzensorten.

 

[masterslider id=“2″]

 

Austausch und Begegnung im Garten: Integration für Menschen mit Flüchtlingshintergrund

Neues lerne ich jedesmal wenn ich hier bin – und das auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Neben Pflanzennamen, richtigen Erntezeitpunkten und Verarbeitungsmöglichkeiten der vielfältigen Früchte, treffe ich hier immer wieder neue Menschen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen. Ich lerne Begrüssungen und Gemüsenamen auf hocharabisch, Namensbedeutungen aus Afghanistan, Lieder aus Eritrea oder das in Äthiopien über 80 verschiedene Sprachen gesprochen werden. Die Begegnung und den Austausch erlebe ich als sehr bereichernd und oft bin ich davon bewegt, wie viele Geschichten und unterschiedliche Schicksale sich hier im Garten begegnen.

Durch die Zusammenarbeit mit dem Projekt „Chancen“ der Abteilung für transkulturelle Psychiatrie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD), können Menschen mit Flüchtlingshintergrund auf freiwilliger Basis hier regelmässig mit gärtnern. Sie erhalten dadurch eine unterstützende Tagesstruktur und eine ausgleichende Tätigkeit ausserhalb ihres oft sehr belastenden Umfeldes. Zudem findet im Garten eine völlig andere Art des Austauschs statt, bei dem sich alle auf Augenhöhe begegnen und das Erlernen der Sprache zwangloser erfolgt als im schulischen Kontext.

Da der Stiftsgarten als GmbH zugleich darauf ausgerichtet ist, eigens produzierte Lebensmittel innerhalb einer regionalen, nachhaltigen Wertschöpfungskette zu vermarkten, wird hier natürlich auch viel geerntet und verarbeitet. So gibt es vor allem in der zweiten Jahreshälfte regelmässig gemeinsame Verarbeitungstage, die unter der Leitung der stellvertretenden Geschäftsführerin Annekathrin Jezler stattfinden. Diese Tage und Treffen sind zum Teil ganz bewusst ausschliesslich von und für Frauen organisiert, denn viele Frauen mit Flüchtlingsstatus haben oft wenig bis gar keine Möglichkeiten für sinnstiftende Aktivitäten oder die Vernetzung mit anderen Frauen ausserhalb der Asylunterkünfte.

Natur verstehen und erleben: Bildung und Kultur im Stiftsgarten

Lernen in und mit der Natur – das wird im Stiftsgarten auf vielfältige Weise realisiert. Zum Beispiel durch Führungen, Kurse, themenbezogene Mitmachaktionen und natürlich durch ehrenamtliche Mitarbeit. Ebenso kann der Garten für kulturelle Veranstaltungen und Feierlichkeiten gemietet werden. Seit 2015 wird das umfangreiche Angebot des Stiftsgartens durch die Partnerschaft mit der OGG (Oekonomische Gemeinnützige Gesellschaft Bern) gefördert. Der unabhängige Verein unterstützt nachhaltige und soziale Projekte mit den Schwerpunkten Boden, Ernährung und Inklusion. Direkt in den Stiftsgarten integriert ist über die OGG zum Beispiel auch ein Teil des Schulprojektes „Gemüsetruhe“, das von Annekathrin Jezler betreut wird.

Paradiese brauchen viele Helfer/Innen: Die Gründung des Fördervereins Stiftsgarten am 28.8.2018

Der Garten ist die Umsetzung von Angelas Version eines „kleinen Paradieses“ und das ist er inzwischen tatsächlich. Allerdings gibt es auch in Paradiesen jede Menge Arbeit und weitere Pläne, die es zu verwirklichen gilt. Damit sich neben der Gartenarbeit auch die Planung, Organisation und Kommunikation zukünftig auf mehr helfende Hände und Herzen verteilt, wurde gestern der Förderverein Stiftsgarten gegründet. Der Verein wird die Geschäftsleiterinnen in Hinblick auf die Mittelbeschaffung unterstützen und ich freue mich, als Vorstandsmitglied für die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit aktiv sein zu dürfen. Das Gründungsteam blickt auf einen gelungenen Abend mit einer kurzweiligen Gründungsversammlung und einem anschliessenden orientalisch-köstlichen Àpero zurück, den die Palästinenserin Rabia Rabee für uns gezaubert hat.

Nach diesem sonnigen Beginn freuen wir uns auf ein produktives und ertragreiches erstes Vereinsjahr, damit der Stiftsgarten als städtischer Raum für ökologische Vielfalt und menschliche Begegnung auch zukünftig erblüht.

www.stiftsgarten.ch
 

 

Über Tina Jamila

Tina ist in Deutschland aufgewachsen und hat sich seit 2016 die Schweiz als ihre Wahlheimat ausgesucht. Sie ist studierte Musikwissenschaftlerin und arbeitet als Journalistin, Kinesiologin und Coachin. Am liebsten schreibt sie über Themenfelder aus Umweltschutz, Nachhaltigkeit, sowie interkulturelle und partizipative Projekte.

Zeige alle Beiträge von Tina Jamila →

Schreibe einen Kommentar