Berner Aktionstage für psychische Gesundheit

Aus dem Tabu in die Mitte der Gesellschaft: Berner Aktionstage für psychische Gesundheit

„Wie geht’s dir“? Diese Frage bekommen wir meist mehrmals täglich zu hören. Sie ist freundlich gemeint und bleibt dennoch häufig an der Oberfläche. Unsere Antwort darauf ist oft ein antrainiertes „Danke, gut“. Doch ehrlich ist das nicht immer. „Wie geht es dir wirklich“? könnte die zweite Frage heissen und genau hier setzen die Berner Aktionstage für psychische Gesundheit an, die vergangenen Donnerstag in Thun eröffnet wurden.

Mit Christa Schwab, Verantwortliche des Berner Aktionsbündnis für psychische Gesundheit, spreche ich in einem Interview über die Notwendigkeit Tabus zu brechen, über den Abbau von Vorurteilen und darüber, dass unser Wissen über psychische Gesundheit genauso selbstverständlich werden sollte wie das tägliche Zähneputzen.

Die Berner Aktionstage für psychische Gesundheit gibt es seit 2012. Gab es einen konkreten Auslöser der zum Entstehen geführt hat und wie ist das Aktionsbündnis organisiert?

Der Bedarf im Kanton Bern nach solchen Aktionstagen bestand im Grunde genommen schon länger, da diese in anderen Kantonen bereits in den Jahren davor durchgeführt wurden. Das Bernische Aktionsbündnis Psychische Gesundheit wurde ebenfalls 2012 aufgebaut mit der Zielsetzung Fachpersonen, Betroffene und Angehörige zu vernetzen, die Politik für die Bedeutung von psychischer Gesundheit zu sensibilisieren und damit für die Weiterentwicklung der Psychiatrieversorgung zu gewinnen.

In diesem Bündnis sind inzwischen über 30 Institutionen und Organisationen des Kantons vereint, die Hauptinitiative hat dabei die „Kantonale Behindertenkonferenz Bern“.

Was ist die wichtigste Intention und Zielsetzung der Aktionstage?

Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, mit dem Tabu über psychische Erkrankungen offen zu reden, aufzuräumen. In der Schweiz ist jeder zweite Einwohner im Laufe seines Lebens von einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung betroffen. Allein schon das zeigt, dass wir hier von etwas absolut Menschlichem sprechen, für das sich niemand schämen und verurteilen muss. So wichtig wie im Alltag für uns das Zähneputzen ist, so wichtig ist auch unsere psychische Gesundheit. Es ist unsere Aufgabe, Wissen und Werkzeuge zu vermitteln, die einen entsprechenden und frühzeitigen Umgang mit auftretenden Problemen ermöglichen.

Was sind in diesem Kontext die zur Zeit konkreten Forderungen an die Politik?

Es ist noch eine Menge zu tun, damit Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Gesellschaft integriert bleiben, alle wichtigen Lebensbereiche auch nach einer Diagnose erhalten werden und somit Isolation entgegengewirkt wird. Momentan wird bereits daran gearbeitet, dass häufiger eine Behandlung zu Hause stattfinden kann und sowohl somatische als auch psychische Erkrankungen in Spitälern unter einem Dach behandelt werden können. Damit würde eine von vornherein vorurteilsbehaftete Trennung beider Bereiche ausgeschlossen .

Ganz wichtig ist auch ein niederschwelliger Zugang zu den unterschiedlichen Unterstützungsangeboten. Das heisst, es muss für jeden gleichermassen einfach sein, frühzeitig Hilfe und eine passende psychologische Betreuung zu finden wie bei einem körperlichen Leiden zu seinem Hausarzt oder ins Spital zu gehen.

Schwerpunkt dieses Jahr ist die psychische Gesundheit bei Kindern, Jugendlichen und Bezugspersonen. Eine Frage aus feministischer Perspektive: Wie steht es momentan um die Begleitung alleinerziehender Bezugspersonen und gibt es spezifische Unterstützung für alleinerziehende Mütter?

Grundsätzlich ist festzustellen, dass alleinerziehende Mütter und deren Kinder eine Risikogruppe betreffend psychischer Erkrankungen sind. Gerade in Bezug auf Erschöpfungsdepressionen (Burnout) sind alleinerziehende Mütter überdurchschnittlich betroffen. Hier gibt es im Bereich der unterstützenden Angebote definitiv Nachholbedarf. Beratungsangebote für werdende Eltern (Geburtsvorbereitung) und junge Eltern (Mütter- und Väterberatung) sollten zum Beispiel unbedingt um Inhalte zur psychischen Gesundheit erweitert werden.

Gibt es für Menschen mit Flüchtlings- und Migrationshintergrund spezifische Angebote?

Grundsätzlich sollen selbstverständlich alle Bevölkerungsgruppen die gleichen Chancen auf ein gesundes Leben und eine optimale Lebenserwartung haben. Die bestehenden Daten lassen darauf schliessen, dass Migrant/-innen und deren Kinder und Asylbewerber/-innen ein erhöhtes Risiko tragen, an einem psychischen Leiden zu erkranken. Im Kanton Bern gibt es verschiedene Bemühungen, diese Gruppen besser zu erreichen. So ist z. B. der Online „Wegweiser für psychische Gesundheit“ in 11 Sprachen verfasst und bietet Unterstützung und Kontaktadressen für Betroffene und Angehörige.

Der Verein „Papilio“ unterstützt die psychotherapeutische Begleitung von Geflüchteten im Kanton Bern mittels eines Netzwerks qualifizierter Fachpersonen. Der Verein vermittelt TherapeutInnen und finanziert DolmetscherInnen. Die Therapie ist bedürfnisorientiert. In Einzel- oder Gruppensitzungen haben Betroffene die Möglichkeit, über das Erlebte zu sprechen oder andere Wege und Methoden zur psychischen Gesundheit kennenzulernen.

Was ist für Sie ganz persönlich die wichtigste Ressource für psychische Gesundheit?

Ich bin mir sicher, dass die Antwort hier für jeden von uns unterschiedlich ausfällt und jeder seine eigenen Quellen hat, um sich zu stabilisieren und neu aufzuladen. Für mich ganz persönlich sind Spaziergänge in der Natur unglaublich wertvoll. Im Wald oder an der Aare kann ich einfach nur geniessen und neue Kraft schöpfen.

Bis zum 22. November finden im Rahmen der Aktionstage im gesamten Kanton Bern eine Vielzahl an Informationsveranstaltungen, Diskussionen, Radiosendungen und weitere kulturelle Angebote statt. Im Fokus steht dabei dieses Jahr die psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und deren Bezugspersonen. Ziel ist neben der Sensibilisierung für dieses Thema auch ganz konkret auf bereits bestehende Netzwerke aufmerksam zu machen und allgemein einen wichtigen Beitrag im Sinne der Prävention zu leisten.

Informationen zu den Aktionstagen sowie zur Sensibilisierungskampagne „Wie geht’s dir?“ sind zu finden unter:

www.psychische-gesundheit-bern.ch

www.wie-gehts-dir.ch

* Hier geht’s zum Online-Wegweiser für psychische Gesundheit: www.psy.ch

Über Tina Jamila

Tina ist in Deutschland aufgewachsen und hat sich seit 2016 die Schweiz als ihre Wahlheimat ausgesucht. Sie ist studierte Musikwissenschaftlerin und arbeitet als Journalistin, Kinesiologin und Coachin. Am liebsten schreibt sie über Themenfelder aus Umweltschutz, Nachhaltigkeit, sowie interkulturelle und partizipative Projekte.

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