„Yes, I am!“

„Yes, I am!“

Alleine unterwegs im Schatten der Gesellschaft – Hunger nach Zugehörigkeit

Es fehlt ein systemischer Ansatz

Ohne Inklusion gibt es Gerechtigkeit nicht.

„Ohne Hilfe und Unterstützung vieler anderer Menschen wären wir nie zu dem geworden, die wir heute sind. Es geht darum, dies zu erkennen und uns unsererseits aufgrund der tief empfundenen Wertschätzung für den uns gewährten Beistand für andere einzusetzen.“

Selbstgebrauter Palmwein, Billigbier, Billigspirituosen, Changa, Mogokaa, Marihuana und Kautabak – mehrheitlich als Cocktail konsumiert – sind für viele jugendliche Frauen und Mütter, die in Kilifi County, Kenia, in Armut leben, ein Weg um ihr Leid erlebter genderbezogener Gewalt und Diskriminierung, von Trauma und von soziokulturellen, strukturellen und ökonomischen Barrieren durch Selbstmedikation erträglicher zu machen. Doch die Absicht trügt: die Sucht treibt sie in willkürliche und ungeschützte Sexarbeit, schafft neue Vulnerabilität für Missbrauch und Ausbeutung und beraubt sie gänzlich ihrer Selbstachtung. Der Teufelskreis greift tief und verlangt nach immer höherer Dosis der Suchtmittel.

Gesellschaftlich tabuisiert und stigmatisiert, ohne Unterstützung, alleinverantwortlich für ihre Kinder, ignoriert in ihrer Not und am Rande der Gesellschaft im Elend lebend, von Angst, Scham, Schuldgefühlen und Selbststigmatisation begleitet, das sind die Attribute ihres Alltags. Dazu kommt die gesellschaftlich vorherrschende Unwissenheit und das Verkennen , dass es sich bei Sucht um eine psychische Krankheit (Definition von WHO) handelt – das Unvermögen eine gesunde Bewältigungsstrategie zu entwickeln um mit dem persönlichen Schmerz umgehen zu können – und nicht um ein selbstverschuldetes Verhalten oder den Charakter eines zu schwachen Willens.

Im Bedürfnis nach Zugehörigkeit leben diese jugendlichen Frauen in einer Art abgekapselten Subkultur mit ihrer eigenen Gesetzmässigkeit und Dynamik. Viele ziehen einen Partner an, dem ihre Sucht u ihre zeitweilig suchtbedingte Unzurechnungsfähigkeit ein leichtes Leben beschert, in welchem seine Dominanz unantastbar bleibt und er seine maskuline Macht frei ausleben kann. Gewalt und Unterdrückung ist an der Tagesordnung.

Betrachten wir die Umstände in einem grösseren Kontext ist unschwer festzustellen, dass globale Einflussnahme den Ausschluss verstärkt. Das neuzeitlich konstruierte Frauenbild, das durch spezifische Förderung täglich weltweit und besonders auch auf dem afrikanischen Kontinent erschaffen und kreiert wird und einzig auf dem eindimensionalen Wert der Ökonomie begründet ist, dringt nie bis in ihre Nische, weil sie als unattraktiv gelten und den Selbstzweck der Wirtschaft nur als Opfer erfüllen.
Internationale Fonds oktruieren Organisationen und NGOs auf, welche Schwerpunkte im Fokus der Bemühungen stehen sollen – nehmen sie sogar gänzlich ein – was jugendliche Frauen besonders mit Alkohol- und Multidrogenabhängigkeit entweder wiederum komplett ausschliesst, weil sie die Kriterien für den Einsatz von Spendengeldern nicht erfüllen und als zu wenig notleidend gelten, oder sie werden auf eine Weise adressiert, die ihnen nicht hilft einen Weg aus der Sucht zu finden; im Gegenteil, es verschlimmert ihre Situation noch, da die einzelnen Aktivitäten mit einer Methode an den Grundbedürfnissen anknüpfen, die keine positiven Anreize für Veränderung schafft.
Oder ihre verschärfte Notlage ist ein Produkt exorbitanter Investitionen von Grosskonzernen beispielsweise aus der Alkoholindustrie, welche die kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten und für die Steigerung der eigenen Geschäftsgewinne ausnutzen und korrumpieren und damit unabschätzbaren menschlichen Schaden anrichten. Gleichzeitig zementieren solche Grosskonzerne durch die Hintertür mit Schein-Humanität ihre Position auf dem Kontinent.

Und wir können noch einen Schritt weiter gehen: In all den Bemühungen zur Bekämpfung von HIV/AIDS in Afrika wird die durch Evidenz belegte Tatsache, dass bereits durch erhöhten Alkoholkosum das Risiko von HIV-Infektionen und Übertragungen drastisch ansteigt und als neuer Gefahrenherd für einen epidemischen Zustand gilt, missachtet. Ganz geschweige denn, dass sie im Zusammenhang mit Alkoholabhängigkeit, deren Rate bei jungen Frauen und Müttern in Kenia sehr hoch ist und stetig weiter ansteigt, Aufmerksamkeit findet. Zu erwähnen ist ebenfalls, dass die Kombination der medikamentösen Behandlung für HIV-Infektionen und regelmässiger Alkoholkosum von fatalen körperlichen Folgeschäden begleitet ist und zu frühzeitigem Tod führen kann. Und, solange ein HIV-positiver Mensch suchtmittelabhängig ist, wird sie/er auch nicht in der Lage sein, das Medikament wie verschieben regelmässig einzunehmen oder daran zu denken, ein Kondom zu verwenden. Die Spirale dreht sich immer weiter abwärts.

Wenn wir dann noch Bezug auf das internationale Klassifikationssystem der bis jetzt 300 erfassten psychoaktiven Substanzen nehmen, beweist der im Juni 2019 erschienene Report der Global Commission on Drug Policy eindeutig, dass die Einstufung der einzelnen Substanzen hinsichtlich ihrer körperlichen und psychischen Schädlichkeit nicht aufgrund wissenschaftlicher Evidenz vorgenommen wurde und dies von der ersten bis zur heutig gültigen Konvention. Die angewandte Einstufung ist ein Produkt historischer und politischer Machtverhältnisse und Interessen. Eindeutige wissenschaftliche Befunde erheben heute, dass Alkohol in seiner Schädlichkeit an erster Stelle aufgeführt werden sollte. Hinzu kommt, dass die vorherrschende Zweiteilung in legale und illegale Substanzen diesem Aspekt nicht nachkommen kann.

Dem Bericht 2018 der African Union zufolge haben nur gerade 1% der in Armut lebenden Menschen in Afrika Zugang zu Suchtbehandlung und darüber hinaus liegt der Anteil an Frauen unter 5%.

Die Beweislage scheint einerseits noch nicht zu genügen und andererseits fehlt eine umfängliche Zusammenfassung, welche das konkrete Bild unter Einbezug aller Aspekte getreu und als ein Ganzes wiedergibt, um vermehrt und kontextabhängig auch ein besonderes Augenmerk auf jugendliche Frauen mit Suchtmittelabhängigkeit und in Armut lebend zu richten und greifbare Lösungen breit abgestützt partnerschaftlich und finanziell mitzutragen. Lösungen, die auch Bemühungen zur strukturellen Veränderung miteinbeziehen und mit Nachdruck verfolgen. Die Möglichkeit fördern, dass suchtmittelabhängige junge Frauen und Mütter ihr Leben grundsätzlich verändern und selbstbestimmt und ihrer Individualität Rechnung tragend eine gesunde, integrierte und selbstverantwortungsvolle Lebensgestaltung entwickeln können, in der auch ihre Kinder ein stabiles Lebensfundament erhalten; selbst eine solide Lebensgrundlage erschaffen zu können, auf welcher sie nachhaltig weiter aufbauen und sich und ihre Kinder mehr schützen können für ein Leben in Würde.

Wo im System Stukturen fehlen, da macht sich amescosa-road to recovery Initiative in Kilifi, Kenia für jugendliche suchtmittelabhängige Frauen stark. Sie baut eine Brücke zu ihren Lebenswelten, bieten einen ganzheitlichen Weg aus der Sucht und gibt den jugendlichen Frauen eine anwaltschaftliche Stimme.
Ein Engament für eine gerechtere Genderarbeit, in der jugendliche Frauen mit Suchtmittelabhängigkeit ihren berechtigten Platz haben sollen, für die Förderung einer interdisziplinären und bio-psycho-sozialen Optik und für den Aufbau einer holistischen, integrativen und tragfähigen Suchthilfe.

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