« Wie diskriminierend ist die deutsche Sprache»

Die Kampagne der Aktionswoche zum Thema «struktureller Rassismus» mit vielen interessanten Veranstaltungen fand vom 20. bis 27. März in Bern statt. Die Mehrheit der Aktionen hat wegen der Coranamassnahmen online stattgefunden. Eine dieser Veranstaltungen hatte einen besonderen Titel:  «Wie diskriminirend ist die deutsche Sprache?» sie kam sehr gut an bei den Teilnehmenden. Lucify hat Carla Schär, eine der Organisatorinnen, interviewt.

 Lucify: Könntest du dich bitte kurz vorstellen?

Carla: Mein Name ist Carla, ich habe Linguistik studiert und mich anschliessend zur DaF-DaZ (Deutsch als Fremd- und Zweitsprache)- Lehrerin weitergebildet.

Carla Schär

Lucify: Verein VoCHabular hat bei der Aktionswoche gegen Rassismus zwei Mal die Workshops mit dem Titel « Wie diskriminierend ist die deutsche Sprache» angeboten. Der Workshop wurde sehr gut angenommen und die Teilnehmenden waren sehr gespannt. Warum habt ihr dieses Thema ausgewählt?

Carla: Wir entwickeln Deutsch- und Schweizerdeutsch-Selbstlernmittel – das heisst, wir beschäftigen uns mit der deutschen Sprache und sehen es deshalb auch als unsere Verantwortung, diese auf rassistische Strukturen zu analysieren und sowohl bei Lehrenden wie auch bei Lernenden einen antidiskriminierenden Sprachgebrauch zu fördern.

Lucify: Was war deine Motivation, um dieses Thema auszuwählen?

Carla: Während meiner Ausbildung ist mir aufgefallen, dass sprachliche Diskriminierung wenig bis gar nicht behandelt wird. Ich habe mich deshalb eigenständig informiert, wobei mir immer mehr auffiel, dass gewisse Begriffe nicht nur in den Medien, sondern eben auch in Lehrmitteln unreflektiert verwendet werden.   

Lucify: Beeinflusst die Sprache unsere Wahrnehmung? Welche Rolle spielt die Kultur?

Carla: Ja, ich bin überzeugt davon, dass die Sprachen, die wir sprechen, unser Denken beeinflussen. Wenn wir ein Konzept, ein Erlebnis, ein Gefühl nicht in Worte fassen können, dann ist es nicht fassbar und droht sehr schnell zu verschwinden. Die Sprache dient der Kommunikation, aber eben nicht nur. Wir teilen auch unsere Einstellungen und unsere Gefühle mit. Kultur ist ein sehr vielfältig verwendeter und deshalb komplexer Begriff. Hier vereinfacht als Gesamtheit von Praktiken, Werten und Normen einer Gesellschaft, hat die Kultur ebenfalls einen Einfluss auf die Sprache – wir können sie nie getrennt von der Kultur betrachten.

Lucify: Welche Rolle spielt die diskriminierende Sprache im strukturellen Rassissmus einer Gesellschaft?

Carla: Wenn wir eben davon ausgehen, dass die Sprache von gesellschaftlichen Diskursen geprägt wird, wird klar, dass sich rassistische Strukturen in unseren Sprachgebrauch geschlichen haben. Die bestehenden Machtstrukturen können unbewusst von unserer Sprache weitergetragen werden und wir verwenden Worte, ohne ihre gesellschaftliche oder historische Verbindung zu hinterfragen.

Lucify: Können wir sagen, «eine Sprache ist an sich diskriminierend»? Wenn ja, wie? Wenn nein, warum sprechen wir dann über eine diskriminierende Sprache? ( Was meinen wir genau damit?)

Carla: Ja und Nein. Die Struktur der deutschen Sprache erschwert zum Beispiel einen genderinklusiven Sprachgebrauch, der Wortschatz weist ebenfalls einige diskriminierende Begriffe auf. Hinter einer Sprache stehen aber immer die Menschen, die sie sprechen. Wenn wir sagen, eine Sprache ist diskriminierend, klingt das so definitiv – wir können nichts daran ändern. Aber eigentlich geht es ja genau darum, unseren Sprachgebrauch zu ändern, uns zu sensibiliseren.

„Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie du nicht wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle“ „Anatol Stefanowitsch“

Lucify: Welche Faktoren haben den diskriminierenden Wortschatz in der Strukturen der deutschen Sprache geprägt?

Carla: Wenn wir von Diskriminierung und der deutschen Sprache sprechen, kommt uns wahrscheinlich zuallererst die Zeit des Nationalsozialismus in den Sinn. In dieser Zeit wurde die deutsche Sprache normiert, um nationalsozialistische Propaganda zu verbreiten. Genau so wichtig zu erwähnen ist aber auch die Kolonialzeit, die den Sprachgebrauch ebenfalls verändert hat.

Es sind also einerseits historische Geschehnisse, die rassistische Strukturen der deutschen Sprache geprägt haben. Andererseits sind es auch aktuelle gesellschaftliche Strukturen, wie unsere Migrationspolitik, welche eine Reihe von problematischen Begriffe oder Konnotationen hervorgerufen hat.

Lucify: Gibt es noch Naziwörter im deutschen Wortschatz?

Carla: Ja, gibt es. Nach dem Krieg wurden die deutschen Wörterbücher zwar entnazifiziert, doch einige Begriffe blieben in der Alltagssprache bis heute bestehen.   

Lucify: Könntest du bitte einige Beispiele nennen?

Carla: asozial, abartig, Rasse, Volk, anglo-amerikanisch…Einige sind offensichtlich, andere erstaunen uns wahrscheinlich eher.

Lucify: Wie beeinflusste die Kolonialzeit den Sprachgebrauch?

Carla: Wie auch in der NS-Zeit, wurden viele Begriffe schon früher in der deutschen Sprache verwendet. Durch die neuen Machtkonstruktionen wurden Wörter, die ursprünglich für Pflanzen oder Tiere verwendet wurden, auf bestimmte Menschengruppen übertragen. Diese Begriffe dienen der neben der Biologisierung auch der Homogenisierung, Pluralisierung und Hierarchisierung – wichtige Mechanismen des Rassismus.

Ausserdem gibt es auch Neologismen, die auf die Kolonialzeit zurückzuführen sind – das N-Wort oder das I-Wort sind zum Beispiel Begriffe, die nie neutral verwendet wurden.  

Lucify: Wo erkennen wir heute weisse Machtstrukturen im deutschen Wortschatz? ( mit Beispiel)

Carla: Es sind vor allem die binären Aufteilungen, die Konstruktion von „Wir und die anderen“, die durch Wörter unterstützt werden: Ausländer:in – Inländer:in, Migrant:in – Expat, primitiv – zivilisiert, …

Hier muss allerdings differenziert werden: Der Begriff Migrationshintergrund zum Beispiel, der sehr stark politisch geprägt ist, ist in seiner Bedeutung eigentlich nicht diskriminierend und wird auch als Selbstbezeichnung von Menschen verwendet, die auf ungleiche Behandlung hinweisen wollen. Was ihn aber problematisch macht, ist dessen unreflektierte Verwendung von der Mehrheitsgesellschaft im Alltag und in den Medien. Denn diese Mehrheitsgesellschaft ist es, die bestimmt, wer mit Migrationshintergrund bezeichnet wird, und wer somit von den nicht Bezeichneten abgegrenzt wird. „Person mit Migrationshintergrund“ hat oftmals den klar negativ konnotierten Begriff „Ausländer:in“ abgelöst. Dies ist ein Wort, das neben „Fremde:r“ im deutschen Wortschatz besteht – wo es in anderen Sprachen nur ein Wort dafür gibt. Das zeigt bereits die problematische und diskriminierungsunterstützende Entstehung, aber gleichzeitig auch die Komplexität von gewissen Wörtern.

Lucify: Werden rassistische Begriffe noch oft unbemerkt in der Alltagssprache verwendet?

Carla: Ja, das Problem ist genau dieses „unbemerkt“. Wir verwenden Begriffe, die historisch und gesellschaftlich geprägt sind, ohne uns viel Gedanken über ihre Wirkung zu machen. Wir können nichts daran ändern, dass diese Begriffe entstanden sind und sich ihre Verwendung verändert hat – aber wir können ihre aktuelle Verwendung hinterfragen.

Lucify: Was zeichnet eine antirassistische Sprache aus?

Carla: Genau das. Es geht um das Sichtbarmachen, Reflektieren und Bewusstsein über historische und gesellschaftliche Einflüsse auf unsere Sprache. Dann geht es vor allem auch darum, von Rassismus betroffenen Menschen eine sprachliche Ermächtigung zu ermöglichen. Wer sprachliche Diskriminierung erlebt, muss sich wehren können.

Lucify: Ich kann mir vorstellen, dass du nicht nur nette Rückmeldungen hattest. Hast du eventuell negative Rückmeldungen?

Carla: Ja, die Kritik am Sprachgebrauch wirft immer wieder Diskussionen auf. Es ist ein sehr kontrovers diskutiertes Thema.

Lucify: Könntest du darüber erzählen?

Carla: Viele Menschen finden es übertrieben und argumentieren damit, dass das Ändern eines Wortes nichts bringt in der Bekämpfung von Rassismus. Oft fühlen sich die Menschen auch persönlich angegriffen oder sehen gar die deutsche Sprache als bedroht. Viele verstehen die Kritik nicht, weil sie selber vielleicht gewisse Begriffe verwenden, dies aber nicht mit einer rassistischen Absicht tun. Das Problem ist hier, dass es eben nicht um die Absicht geht, sondern darum, was ein Wort bewirken kann.

Lucify: Gibt es etwas, worüber du sprechen willst, als letztes Wort?

Carla: Wir müssen eine Sprache finden, die nicht diskriminiert. Das Komplexe daran ist, das es nichts bringt, Begriffe zu verbieten- auch schon nur weil es wichtig ist, in der Rassismusdebatte differenzieren zu können, wer betroffen ist und wer nicht. Deshalb kann ich aus meiner Position auch nicht abschliessend entscheiden, welche sprachliche Äusserung rassistisch ist und welche nicht. Wichtig ist aber, dass wir die Perspektive wechseln können und Fremdbezeichnungen als problematisch sichtbar machen. Und schiesslich eben auch, dass sich alle, ob von Rassismus betroffen oder nicht, kritisch mit ihrem eigenen Sprachgebrauch auseinandersetzen und ein bewusstes Sprechen anstreben.

Die Ressourcen für Mehr Info:

  1. Susan Arndt & Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.) (2019):Wie Rassismus aus Wörtern spricht, (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache

2. Mathias Heine (2019): Verbrannte Wörter

3. Wörterbuch: www.dwds.de

Über Mahtab Taemeh

Mahtab stammt aus Iran und hat in Teheran persische Literatur studiert. Während ihres beruflichen Werdeganges hat sie als Sendeleiterin und Produzentin bei Radio Teheran und dem iranischen Nationalradio sowie als Reporterin und Autorin bei mehreren Zeitungen gearbeitet. Ausserdem war sie mehrere Jahre an der Kunst Akademie und Kulturerbe-Organisation in der Forschung tätig. 2015 hat sie ihr Land infolge der politischen Situation verlassen und ist mit ihrem Sohn in die Schweiz geflüchtet. Hier engagiert sie sich in verschiedenen Projekten. Zurzeit führt Mahtab einen Stadtrundgang bei StattLand, ist Moderatorin der Sendung vox mundi bei Radio Rabe und seit Juli 2019 Sendeleiterin der Sendung Torfehaye Javidan.

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