Struktureller Rassismus im Kulturbereich

Interviews mit Kulturschaffenden aus Bern, Zürich und Luzern

Maya Taneva

Während der Aktionswoche gegen Rassismus in Bern organisierte die Stadt ein reichhaltiges Programm: Veranstaltungen, Debatten und Aktionen. Die Woche bot uns die Gelegenheit, den Kampf gegen Rassismus mitzuerleben, zu unterstützen oder selbst einen Beitrag zu leisten. Sie lenkte unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass Rassismus für viele Menschen Türen verschliesst. 

Für viele Menschen sind Türen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrer Sprache verschlossen“, sagte Franziska Teuscher und rief dazu auf, „diese Türen zu öffnen“ und zu zeigen, dass Diskriminierung in der Stadt Bern keinen Platz hat.

Franziska Teuscher

Die Organisation rief zu einer offenen Diskussion auf und lud über 40 Organisationen und Einzelpersonen dazu ein, ihre „Aktionen“ gegen Rassismus vorzustellen. Das Thema der diesjährigen Aktionen ist „struktureller Rassismus“. 

Noch vor zwei Jahren wurde der Begriff struktureller Rassismus als ominöser Begriff bezeichnet. Doch mit dem Fall George Floyd und den darauffolgenden Ereignissen in Amerika wurde der strukturelle Rassismus plötzlich vom Mainstream als Problem anerkannt. Dadurch, dass Polizeibeamte in die Lage versetzt wurden, sich vor dem Gerichtshof für rassistische Taten zu verantworten, gibt es keine Debatte über Rassismus mehr, die auf persönlichen Überzeugungen beruht. Es ist das System, das in Frage gestellt wird. 

Als Teil unseres Lucifys Schriftstellerinnen Kollektiv wurde ich eingeladen, an einer Debatte „gegen strukturellen Rassismus im Kulturbereich“ teilzunehmen. Einmal mehr stellte sich heraus, dass die Kultur als Raum für die Kommunikation zwischen Künstler*innen und der Gesellschaft stark vom Phänomen des „strukturellen Rassismus“ betroffen ist.

Ich beschäftigte mich mit Fällen von Rassismus, die auf den ersten Blick nicht deutlich sichtbar sind. Die Interviews, die ich mit vielen Künstler*innen und Kulturschaffenden, die in der Schweiz geboren oder gerade erst eingewandert sind, geführt habe, haben gezeigt, dass die Phänomen anwesend ist. 

Diese Kulturschaffenden, die aus verschiedenen Ecken der Welt kommen, um ihr Können in ihrem Bereich zu zeigen, sind von der unsichtbaren Mauer des Schweizer Integrationssystems stark betroffen. Sie alle haben mit dem unsichtbaren Feind zu kämpfen, der sich hinter den starren und unlogischen Gesetzen des Schweizer Integrationssystems verbirgt. Ob es nun um eine erfolgreiche Integration auf dem Kulturmarkt, um Chancengleichheit für die Ausübung ihrer Kunst oder einfach um die Erlaubnis, in der Schweiz zu bleiben, geht, diese Künstler verlieren das Spiel.

Und warum? Weil das System auf eine Weise funktioniert, die von rassistischen Prämissen geprägt ist. Die Rassisten verstecken ihre Gesichter hinter den Absurditäten der Verwaltung und drängen diese Menschen aus dem Mainstream der Kulturszene. Jeder einzelne dieser Künstler, die ich getroffen habe, trägt Wunden mit sich und kämpft weiter. 

Was sie vorschlagen ist Veränderung! Wir müssen die Ungereimtheiten einer Struktur aufdecken, die rassistisch und feindlich gegenüber Künstler*innen mit Migrationshintergrund ist. Die alten Prämissen eines rassistischen Systems sollten entlarvt werden, um ein neues und effektives System zu schaffen, das auf den Bedürfnissen und Visionen der jüngeren Generationen basiert, die mit einer kosmopolitischen Sichtweise geboren und aufgewachsen sind, als Weltbürger. Nur wenn sie ihre Stimme erhebt und authentisch reagiert, können sie die Veränderung herbeiführen, die in der rostigen alten Struktur dieses Landes stattfinden muss. 

Für diese Untersuchung habe ich 4 Künstler oder Kulturschaffende aus Bern, Zürich und Luzern interviewt:

Asserdem gibt es weitere Interviews mit Künstler*innen mit Migrationshintergrund, die ihre Erfahrungen zum Thema struktureller Rassismus erzählen wollen.

Savino Caruso & Elvio Avila – Theaterarbeiter

«Etwas was mir fest geblieben ist, ist die ständige Angst. Ich glaube das ist etwas was viele Leute, die emigriert sind, haben. Man weiss nie, wann man zurückgehen muss. Das würde ich als erster Fall des strukturellen Rassismus bezeichnen. Weil du nie richtig ankommen darfst, weil dieser Zeitpunkt kommt, wenn du wieder gehen muss.»

Savino Caruso

Ich traf Savino im Bistro des Theaters im Südpol. Savino bereitete sich gerade auf die heutige Vorstellung Mi Vida En Transito vor. Dieses Theaterstück, bei dem Savino Regie führt, ist eine kulturelle Darstellung der Absurdität des strukturellen Rassismus, der in der Schweiz existiert. Mi Vida En Transito ist die Geschichte eines digitalen Expats, der 2020 aufgrund der Migrationsbestimmungen des Kantons Luzern aus der Schweiz ausgewiesen wurde. Elvio lebt ein Doppelleben. Er taucht jede Woche in digitaler Form auf der Südpol-Bühne in Luzern auf, da er gezwungen ist, in Argentinien zu bleiben. 

Die ganze Geschichte, warum und wie es dazu kam, können Sie sich hier anhören:

Zarina Tadjibaeva  – Schauspielerin und Dolmetscherin

Zarina Tadjibaeva ist eine Schauspielerin, Sängerin, Mode-Modell und Dolmetscherin arbeitet. Nach der erfolgreichen Theatershow  „Verschtehsch?“  erzählt Zarina
in ihrem neuesten Stück  „Zarina Zeigt den Vogel“  noch mehr über ihre 
Erfahrungen als Dolmetscherin. Sie liegt den Fokus auf dem Asylsystem der Schweiz. Das Theaterstück beleuchtet sozial-politische Aspekte über das System der Schweiz mit einem humorvollen Grundton. 

Wie und warum wurde Zarina als Künstlerin oder als Dolmetscherin oder einfach als Mensch vom Rassismus betroffen, erzählt sie in diesem kurzem Audio zum Thema struktureller Rassismus in der Schweiz:

Aydin Sevinc – Filmschaffender

Die Zusammenarbeit zwischen Lucify.ch und Aydin Sevinc als Organisator des Orient-Express-Filmfestivals begann vor ein paar Jahren. Ich kenne Aydin als hart arbeitenden Menschen, der seine ganze Liebe und Mühe in die Realisierung eines Filmfestivals steckt. Das Orient-Express-Filmfestival widmet sich alternativen Formen des Films aus dem Nahen Osten.   

Als ich Aydin das letzte Mal in der Turnhalle in Bern traf, sagte er zu mir, dass er so nicht mehr leben könne, dass er ein tiefes Bedürfnis habe, in dieser Gesellschaft etwas zu bewegen, weil alles, was er sähe, falsch wäre. Falsche Matrizen und Strukturen würden zu einer falschen Darstellung der Realität führen. In dem Masse, in dem er all seine Bemühungen und Hoffnungen in eine erfolgreiche Umsetzung des OEFF stecke, fühle er sich mehr und mehr frustriert. Wir sprachen über diese Frustration und Hindernisse in verschiedenen Formen, die er während seiner Arbeit ständig überwinden muss. Er fühle sich wie ein David, der gegen einen Goliath kämpft, wenn er versucht, gegen den unsichtbaren Feind eines rassistischen Systems zu kämpfen.

Dragica Rajčić Holzner – Schriftstellerin

In meinem Auto-Büro telefonierte ich mehr als eine Stunde lang mit Dragica. Es ist immer eine besondere Erfahrung Dragica zu treffen und mit ihr zu sprechen. Dragica hat diese besondere Fähigkeit, alle meine Abwehrmechanismen zu zerstören, während sie einfach ihre Wahrheit sagt. Während ihrer Rede öffne ich mich für die Essenz meines Wesens als Frau. Sie berührt meine Seele mit ihrer mutigen Art, die Probleme zu formulieren, die wir eigentlich alle als Frauen und als Ausländerinnen teilen. 

Diesmal war unser Thema der strukturelle Rassismus in der Schweizer Kultur. Ohne zu zögern, ging sie direkt auf den Kern des Problems ein und sagte zu mir: 

Wir werden immer die anderen sein. Wir werden nie in der Heimat von irgendjemandem wohnen. Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Weltliteratur gehören nirgendwo und überall hin. Es ist das Schicksal einer einsamen „Putzfrau“, über das sie im dem im Folgenden übernommenen Interview spricht.

Dragica Rajčić Holzner 

Sie werden nächsten Monat mehr von uns hören. Die Produktion des Podcasts läuft! Von allen oben genannten Künstlern werdet ihr ein Interview hören oder lesen können.

Bleiben sie auf dem laufenden mit unserem Lucify.ch-Antirassismus-Podcast auf Spotify.

Über Maya Taneva

Maya kommt ursprünglich aus einer politisch und kulturell stark geprägten Region des Balkans: Mazedonien. Sie ist in den 90er-Jahren in der Hauptstadt Skopje in einer Nachkriegsatmosphäre aufgewachsen. Damals gab es weder eine Kunstszene noch Kunst-Vereine. In diesen schwierigen Zeiten hat sie erkannt, wie wichtig es ist, Zeichen zu setzen und dass es Menschen gibt, die kreativ denken und arbeiten wollen. So war sie seit ihrer Jugendzeit mit verschiedenen kleinen und grossen Engagements in der subkulturellen Szene von Skopje aktiv: Kanal 103 Radio, Locomotion Festival, Dream On Festival… Seit 2012 wohnt sie in der Schweiz und studiert Weltliteratur an der Universität Bern am "Center for Global Studies (CGS)". "Es ist meine Vision, eine aktive Gestalterin und Promoterin der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zu sein, die es in multikulturellen Milieus gibt. Insbesondere interessiert es mich, wie man die Rezeption der zeitgenössischen Kulturszene vertiefen und verbessern kann und Räume zu schaffen für multikulturellen Ausdruck, sowie für die Vermittlung zwischen Kultur und Politik."

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