Statt Belohnung ins Prekariat

Als sich die Zahlen zu den Covid 19-Infektionen in der letzten Zeit verschlechtert haben, war dies vor allem für eine Arbeitskategorie die Hölle: die Pflege.

In den Spitälern und Heimen muss das Pflegepersonal viele zusätzliche Arbeitsstunden leisten. Dazu kommen weitere Unannehmlichkeiten durch das Tragen von Masken und Schutzkleidung sowie die Angst vor einer Ansteckung. Wenn ArbeitnehmerInnen schliesslich auch noch aufgefordert werden, auf ihr Privatleben zu verzichten, stimmt etwas nicht mehr.

Viele Plegefachfrauen und -männer in der Schweiz sind MigrantInnen und aus Angst nicht verstanden zu werden oder Mangel an Informationen über ihre Rechte, könnten sie sich ungerecht Behandeln lassen.

Im folgenden Interview berichtet eine Pflegerin, wie sie während der Coronawelle an ihrem Arbeitsplatz eingesperrt wurde und dadurch selber an Covid 19 erkrankt ist. Sie kommt aus Osteuropa und wir sprechen sie mit dem fiktiven Namen Khatarina an.

Hallo Khatarina.

Hallo Lucify, zuallererst möchte ich mich für diese Möglichkeit, über die Situation an meinem Arbeitsplatz zu reden, bedanken. Es gibt eine Armee von Pflegenden da draussen in den Spitälern, den Pflegeheimen und anderen Häusern, die von der Situation einfach überwältigt sind und gar keine Chance haben, ihre Gedanken mitzuteilen. Vor allen weil sie niemand fragt, aber auch weil es zu viel zu tun gibt.

Danke, dass du uns deine Geschichte erzählst. Wo befindest du dich?

Im Moment bin ich in häuslicher Quarantäne, erkrankt an Covid 19, seit mehr als zehn Tagen. Ich arbeite als Pflegehelferin SRK in einem Heim und habe das Virus am Arbeitsplatz bekommen.

Ich möchte hier sagen, dass diese Krankheit schwer sein kann, für mich aber nicht viel schlimmer als jegliche Grippe ist. Die Symptome habe ich vom ersten Tag in den Lungen gespürt. Starker Husten hat sich ergeben. Ausserdem waren die Gliederschmerzen sowie die Kopfschmerzen am schlimmsten. Ich habe sie die ersten vier Tage intensiv gehabt. Nachher sind sie – zusammen mit dem Fieber – verschwunden. Man kann sich sehr erschöpft fühlen. Aber alles zusammen ist es, für jemanden der nicht zur Risikogruppe gehört, sehr ähnlich wie eine Grippe.

Wann habt ihr im Heim den ersten positiven Patienten gehabt?

Wir haben Mitte Oktober die erste Mitteilung bekommen. Ich habe ein paar Tage frei gehabt und als ich zurück an die Arbeit gekommen bin, waren alle von der Pflege positiv getestet worden. Nur vier Personen von der Pflege, die eigentlich in den Ferien waren, wurden negativ getestet. Ich war eine von denen und „durfte“ weiterhin arbeiten.
Das Heim war voll mit infizierten Gästen. Nur wenige wurden negativ getestet. Jedes Zimmer wurde isoliert und wir haben strenge Massnamen eingeführt.

Wie wurde das Personal über das Vorgehen Informiert und wie hat es reagiert?

Eines Nachmittags, als ich aus dem Frühdienst endlich nach Hause gekommen war und mich ausruhen wollte, hat mich meine Chefin angerufen. Sie hat mir gesagt ich soll mein Koffer packen und an die Arbeit kommen. Das Heim DARF ich, so hat sie es mir gesagt, für die nächsten zehn Tage nicht mehr verlassen.

Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Was will sie von mir? Ich bin negativ! Ich darf mich frei bewegen! Warum darf ich nicht mehr nach Hause gehen? Wie kann sie meine Freiheit einfach so suspendieren?!
Ich wollte eine Erklärung. Die Chefin hat mir gesagt, dass eine Anordnung des Kantonsarztes vorliege. Er habe angeordnet, dass wir das Heim in den nächsten zehn Tagen nicht verlassen. Niemand durfte in das Heim eintreten und niemand durfte es verlassen. Meiner Kollegin die schon vor Ort war, hat die Chefin verboten nach Hause zu gehen. Sie hat ihr gesagt: “Du darfst das Heim nicht verlassen.”

Diese Anordnung vom Kantonsarzt war ab dem 22. Oktober gültig. Meine Chefin hat sie uns allem aber schon am 21. Oktober weitergegeben. Es war rechtlich nicht erlaubt, was sie da gemacht hat. Warum hat sie das gemacht? Aus Angst, sie könnte ohne Arbeitskräfte bleiben, hat sie uns die Freiheit genommen. Ich kann das kaum glauben.

Ich war die einzige unter dem Personal, die insistiert hat, die Anordnung zu sehen. Die anderen haben nicht den Mut gehabt, so etwas zu verlangen. Schlussendlich haben sie alle per Mail erhalten, aber erst am Nachmittag des 22. Oktober. Darin war klar geschrieben: Verstösse gegen diese Anordnung sind strafbar und werden mit Busse bis zu 10.000.- Franken bestraft.

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich an der Arbeit in einem Gefängnis. Ein schreckliches Gefühl. Niemand kann sich so etwas vorstellen.

Wie hat das Personal reagiert?

Ich habe sofort bei meiner Chefin via Whatsapp gesagt: “10 Tage nur wir, zu viert arbeiten, non-stop, ohne Pause, ohne frei, wir werden auseinander brechen. Unser Immunsystem wird, unter diesen schweren Umständen, schwach und wir werden schlussendlich auch krank. Du musst uns frei geben!” Sie hat mir antwortet: “Vergiss es. Die Situation ist so, wie sie ist. Wir sind so viele wie wir sind. Wir müssen das durchstehen.”
Die Chefin hat am meisten gearbeitet. Sie hat auch die Nachtwache gemacht. Das schlimmste waren die Notfälle. Wir haben in den ersten fünf Tagen vier Hospitalisierungen gehabt. Die Ambulanz ist vier Mal gekommen und hat vier Personen ins Spital gebracht.

Es war wahnsinnig stressig unter solchen Umständen zu arbeiten. Der Angst vor der Krankheit war immer präsent. Die wahnsinnige Massname hat es uns doppelt so schwierig gemacht. Der Stress war überall. Die Notfälle haben einiges dazu beigetragen. Und schlussendlich das Gefühl, dass du jetzt im Gefängnis bist. Du darfst nicht nach Hause, bist da eingesperrt und niemand fragt dich mehr, wie wir das nur zu viert durchstehen sollen.

Wann hat dich Corona erwischt?

Nach fünf Tagen habe ich selber die ersten Symptome gespürt. Kopfweh, Schmerzen in den Gliedern und ein leichter Husten. Ich habe meinen Frühdienst noch fertig gemacht und dann durfte ich aufs Zimmer. Ich habe schon Fieber gehabt, aber ich habe mich durchgebissen. Wie geht es hier weiter? Meine Kolleginnen sind jetzt nur noch drei. Es ist nicht mehr möglich, für fünf Tage so fortzufahren!
Trotz des Fiebers musste ich telefonieren. Ich habe die Personalchefin angerufen und um Hilfe gebeten. Sie soll doch, habe ich mir gedacht, genug stark sein, um den Kantonsarzt anzurufen, damit er die Anordnung ändert. Wir brauchen dringend jemanden!

Und das war der Gipfel! Diese Frau, die uns führen sollte, hat sich das als Kritik zu Herzen genommen. Sie hat angefangen mich anzuschreien. Sie hat wiederholt, dass ich es vergessen soll, dass es niemanden gibt, der uns helfen kann. Sie konnte nicht glauben, wie ich ihr Engagement in Frage stellen konnte. Und ich konnte nicht glauben, was ich alles zu hören bekam. Ich wollte nur Hilfe holen. Etwas machen. Meine Kolleginnen sind jetzt nur zu dritt. Es war die schlimmste Überraschung. Das habe ich wirklich nicht erwartet.

Was hast du dann gemacht um nach Hause zu kommen?

Ich habe nicht aufgegeben und habe noch weitere Telefonate gemacht, habe weiter gekämpft, Emails an die Gewerkschaft geschrieben, die Dienststelle Soziales und Gesellschaft (DISG) des Kantons angerufen. Ich wollte nicht glauben, dass sie uns so im Stich lassen.Am nächsten Tag durfte ich das Heim verlassen und die häusliche Quarantäne durchführen. Eine Kollegin, die in der Zwischenzeit wieder negativ war, durfte arbeiten kommen. Sie durfte dann am Abend auch wieder nach Hause. Etwas hat sich also doch geändert.

Ich erzähle diese Geschichte nicht wegen mir. Ich erzähle es, weil mir bewusst ist, dass es da draussen eine Armee von Pflegenden in ähnlichen Situationen gibt.

Zuerst die Anordnung vom Kanton! Wer solche Anordnungen schreibt, muss auch an die Folgen denken. Wie sollten wir das durchführen? Wie ist es möglich, dass die ganze Last auf den Rücken des Pflegepersonals fällt? Wir waren negativ und wurden dafür bestraft. Schlussendlich bin ich jetzt auch an dem Virus erkrankt. Solche Massnamen sind einfach unmenschlich. Wir müssen alle daraus lernen und einfach mehr Vertrauen in die Leute haben, die mit kranken Menschen zu tun haben; mehr Respekt zeigen für die Situation. Es ist ausserordentlich schwierig und wir brauchen keine zusätzliche Bestrafung vom Kanton.

Bekommt ihr eine besondere Entschädigung für die Extraarbeit und das erhörte Gesundheitsrisiko?

Davon ist noch gar keine Rede. Die Situation hat die Leitung des Heimes als finanzielle Katastrophe bezeichnet, und seit November sind wir auf Kurzarbeit. Das heisst, mit meinen Prozenten gemäss Vertrag bekomme ich 600,- pro Monat. Statt Belohnung für die Opfer muss ich jetzt Sozialhilfe beantragen. Das ist nicht lustig.

Bist du in einer Gewerkschaftsorganisation?

Seit das hier geschehen ist, ja! Ich schäme mich, aber es ist wahr. Ich bin nun Mitglied vom VoPD geworden. Vorher war mir das nicht bewusst.

Wurdest du in deiner Ausbildung über deine Rechte als Arbeitnehmerin informiert?

Als ich den SRK Kurs gemacht habe, war die Rede von 15 Tagen Theorie. Und die Pflegeabteilungen sind voll von Migrantinnen wie mir, die keine Chance haben, sich zu wehren oder zu Wort zu kommen. Ja, darüber zu informieren ist eine wesentliche Idee! Das muss doch sein!

Und deine Kollegen?

Meine Kolleginnen schauen mich an wie ein Wunder. Sie werden das alleine, so wie ich, nie machen können. Sie trauen es sich nicht zu. Sie kennen das Land und das Recht nicht, sprechen ein ungeschicktes Deutsch und allgemein wissen die Leute in der Pflege nicht, wie man für seine Rechte kämpft. Das ist eher eine Ausnahme.

Was denkst du, sollte am Arbeitsrecht des Pflegepersonals verbessert werden?

Ich kenne das Arbeitsrecht zu wenig gut. Kaum jemand der in der Pflege tätig ist, hat eine Ahnung davon. Ich weiss nur, dass man etwas machen kann um das Pflegepersonal richtig zu informieren z. B. Projekte, die das Bewusstsein verbessern. Solche Projekte braucht die Branche dringend!

Mehr Info über deine Arbeitsrechte in der Zeit der Corona: https://vpod.ch/brennpunkte/coronavirus/

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