Soll ich mich impfen lassen?

Seit mehr als eineinhalb Jahren sind Corona und Covid 19 mehr als alle anderen Begriffe zu hören. Viele der natürlichsten sozialen Verhaltensweisen und täglichen Gewohnheiten unter dem Einfluss dieses Virus haben sich grundlegend verändert. Man hört immer noch schlimme Nachrichten von schwer kranken Menschen und auch von Familien, die einen lieben Menschen verloren haben.

Jeder hat sich irgendwie auf diesen nervigen, ungebetenen Gast eingelassen. Freunde zu umarmen, ohne Sorgen und ohne Maske in der Öffentlichkeit zu leben, ist ein Traum, den jeder in seinem Herzen hat. 

Manche sehen den Impfstoff als einzige Lösung gegen das Virus, andere sind weniger optimistisch. Lucify hat dazu ein Interview mit der Ärztin Nazan Walpoth geführt:

Lucify: Warum sollten wir uns impfen lassen?

Nazan Walpoth: Um uns selber und andere zu schützen.

Der Nutzen der Impfung überwiegt die Risiken.

Die Impfung verhindert die meisten Corona-Fälle.

Grundsätzlich ist klar: Geimpfte sind vor einer Infektion, einer Erkrankung und einem schweren Verlauf besser geschützt als Menschen ohne Impfschutz. 

Die Impfung verringert das Risiko, am Coronavirus zu erkranken und es weiterzugeben – so können Sie besonders gefährdete Personen in Ihrer Familie, Ihrem Haushalt oder Ihrem Arbeitsumfeld schützen. Je mehr Personen geimpft sind, desto weniger zirkuliert das Virus in der Gesellschaft und desto weniger Menschen erkranken oder sterben am Coronavirus. Vor einer Erkrankung und einem schweren Verlauf sind Geimpfte auch noch Monate nach der Impfung gut geschützt. 

Die Antikörper, die sich nach einer Impfung bilden, nehmen mit der Zeit ab. Es wird im Verlauf sicher eine Auffrischungsimpfung brauchen. Wann das genau sein wird werden wir von den zukünftigen Daten erfahren.

In den vergangenen Wochen sind die Fallzahlen deutlich gestiegen.

Die Staaten und die Politik werden wohl leider nicht mehr so entschieden gegensteuern können! Denn die Impfung ist da und man nimmt an, dass alle sich impfen lassen können. Im Herbst wird somit die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren sehr hoch sein. Mit den dazugehörenden Folgen.

Genau deswegen sollte man sich nun rasch impfen lassen. 

Nazan Walpoth Ärztin

Lucify: Können wir dem Impfstoff vertrauen?

Nazan Walpoth: Impfstoffe werden von Swissmedic nur zugelassen, wenn sie sicher und wirksam sind. Dafür werden sie gründlich getestet.

Das Risiko ernsthafter Komplikationen bei einer Erkrankung am Coronavirus ist um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit schwerer Nebenwirkungen aufgrund der Covid-19-Impfung. Anders gesagt: Das Coronavirus ist die Gefahr, nicht die Impfung.

Nebenwirkungen können bei jeder Impfung auftreten, schwere Nebenwirkungen sind aber klar die Ausnahme. Inzwischen haben viele Menschen die Impfung bekommen und die meisten hatten keine Probleme. Das wird weltweit überwacht.

Lucify: Welche Personen können geimpft werden? 

Nazan Walpoth: Es können alle Menschen ab dem 12. Altersjahr geimpft werden. Ältere Menschen mit Risikofaktoren sind besonders gefährdet, dort ist es sehr wichtig, dass man diese prioritär impft. Covid19 kann auch Jüngere (wenn auch nicht so viel wie bei Älteren) ohne Risiken schwer  treffen und dazu führen, dass diese sterben.

Auch leichtere Verläufe können zu long Covid führen, welches eine deutliche Lebenseinschränkung bedeutet. 

Lucify: Müssen überhaupt alle impfen?

Nazan Walpoth: Müssen ist das falsche Wort. Es ist freiwillig, Aber es sollte eigentlich für alle Mitmenschen auf der Erde selbstverständlich sein. 

Es gibt so viele Menschen mit Risikofaktoren in der 3. Welt, die keinen Impfstoff finden. Die alles tun würden um eine Impfung zu erhalten. Hier haben wir auf 100 Menschen 100 Impfungen, dort berechnet die WHO 1.5 Impfungen auf 100 Menschen. 

Solange es Menschen gibt, die nicht geimpft sind, ist die Möglichkeit, dass eine neue Mutation sich verbreiten kann, möglich. Die Impfung ist ein gutes Instrument, um das zu verringern.

Lucify: Wer sollte nicht geimpft werden?

Nazan Walpoth:  Es gibt nur zwei Gründe, die gegen eine Impfung sprechen: Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe oder eine akute Infektion, die das Immunsystem schon belastet.

Den Impfstoff von Johnson & Johnson und AstraZeneca (beide sind in der Schweiz nicht im Gebrauch) sollten Menschen mit CLS ( Kapillarlecksyndrom) nicht verabreicht bekommen (sehr seltene Krankheit).

Lucify: Gibt es nach der Impfung Impfreaktionen?

Nazan Walpoth: Nach der Impfung kann es sein, dass man müde ist, Fieber oder Kopfweh, Armweh oder einen roten Arm bekommt.  Solche Impfreaktionen sind aber normal und harmlos. Sie zeigen, dass das Immunsystem reagiert und Corona-Antikörper bildet. Das ist das Ziel der Impfung.

Lucify: Besteht bei den Impfstoffen, die in der CH zugelassen sind, Hinweise für schwere Nebenwirkungen?

Nazan Walpoth:  Allergische Reaktionen, die manche Menschen kurz nach der Impfung verspüren, sind bekannt. Sie können gut behandelt werden, deshalb beobachten wir Geimpfte eine Viertelstunde nach der Impfung.

Eine weitere Nebenwirkung kann vor allem bei jungen Männern auftreten.

Sie entwickelten nach der Impfung mit einem mRNA-Impfstoff eine Entzündung des Herzmuskels oder von Bindegewebe am Herzen (Perikarditis, Myokarditis). Etwas, das auch nach einer Corona-Infektion oder einer anderen Virus- oder bakteriellen Erkrankung entstehen kann. Ist in der Regel leicht zu behandeln. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf weitere, sehr seltene Nebenwirkungen wie das sogenannte Guillain-Barré-Syndrom (eine Art schweres neurologisches Krankheitsbild, welches auch nach Covid19 Erkrankungen auftreten kann). Bisher traten wenige Fälle auf und es ist unwahrscheinlich, dass sich an der grundsätzlichen Einschätzung etwas ändern wird. 

Lucify: Wurde bei in der Schweiz geimpften Personen ein schwerwiegendes Problem gemeldet?

Nazan Walpoth:  Nach 1,6 Millionen verabreichten Impfdosen sind 773 nicht schwerwiegende Impfreaktionen gemeldet und 396 als schwerwiegend gemeldet. Diese schwerwiegenden Fälle wurden entweder im Krankenhaus behandelt oder die Reaktionen wurden aus anderen Gründen so eingestuft. 

In den meisten Fällen waren die Betroffenen nicht in Gefahr.

Die am häufigsten gemeldeten Reaktionen in Fällen, die als schwerwiegend eingestuft wurden, waren Fieber (56), Atemnot (31), Kopfschmerzen/Migräne (28), Herpes Zoster Reaktivierung (26), Überempfindlichkeit (22) /anaphylaktische Reaktionen (12), Erbrechen (20), Ermüdung (19), Blutdruckerhöhung (19), Infektion mit Covid-19-Erkrankung (17), und Schwindel (18).

Lucify: Sind Geimpfte immun gegen neuartige Coronavirus-Mutationen?

Nazan Walpoth:  Viren verändern sich, solange sie in der Bevölkerung frei zirkulieren. Nach heutigem Wissen schützen die in der Schweiz zugelassenen Impfstoffe wirksam vor schweren Erkrankungen gegen alle Mutationen.

Der Schutz mit den Mutationen ist etwas reduziert. Forschende arbeiten an Auffrischimpfungen (die wahrscheinlich bald nötig sein werden) welche gezielt gegen aktuelle und künftige Mutationen wirken sollten.

Mit den Impfungen eine vollständige Herdenimmunität zu erreichen wird wohl nicht möglich sein. Man geht davon aus, dass das Coronavirus langfristig endemisch wird, also dauerhaft in der Bevölkerung zirkuliert. So wie der Grippe Virus. 

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Über Mahtab Taemeh

Mahtab stammt aus Iran und hat in Teheran persische Literatur studiert. Während ihres beruflichen Werdeganges hat sie als Sendeleiterin und Produzentin bei Radio Teheran und dem iranischen Nationalradio sowie als Reporterin und Autorin bei mehreren Zeitungen gearbeitet. Ausserdem war sie mehrere Jahre an der Kunst Akademie und Kulturerbe-Organisation in der Forschung tätig. 2015 hat sie ihr Land infolge der politischen Situation verlassen und ist mit ihrem Sohn in die Schweiz geflüchtet. Hier engagiert sie sich in verschiedenen Projekten. Zurzeit führt Mahtab einen Stadtrundgang bei StattLand, ist Moderatorin der Sendung vox mundi bei Radio Rabe und seit Juli 2019 Sendeleiterin der Sendung Torfehaye Javidan.

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