>> Hörrausch im Sandmeer << Eine Frau und ihre Sehnsucht nach der Wüste

Hörrausch im Sandmeer ist der Titel des Hörspiels, das die Dramaturgin und Autorin Maja Bagat nach den Tagebuchaufzeichnungen der russisch-schweizerischen Schriftstellerin Isabelle Eberhardt arrangiert hat. Die Darsteller*Innen Anina Jendreyko, Faten Alabbas und Daniel Steiner lassen für die Zuhörer*Innen die endlose Weite der Wüste und die emotionale Tiefe der Seelenwelt Isabelles lebendig werden. Ein Stück voller Poesie, melancholischer Schwere und der innigen Sehnsucht nach Freiheit.

Es gibt Lebensgeschichten, die für sich betrachtet bereits so unglaublich sind, dass sie genauso gut die Haupthandlung eines Abenteuerromans sein können. Die von Isabelle Eberhardt ist eine solche Geschichte. Als Schriftstellerin, Nomadin, Feministin und Rebellin zog sie am beginnenden 20. Jahrhundert in Männerkleidung durch die Länder des Maghreb und die weite Einsamkeit der Sahara. Keine gesellschaftliche Begrenzung hielt sie davon ab, ihrer inneren Sehnsucht in die Weite des Orients zu folgen und dort in der Einsamkeit ihr Glück zu suchen. Ihre Reportagen und Tagebücher sind zugleich historisches Zeugnis, lyrische Reiseberichte und Landkarten ihrer eigenen emotionalen Welt.

Nomadin war ich schon als Kind, als ich verträumt die Strasse betrachtete. Diese weisse Strasse unter der strahlenden Sonne, die geradewegs ins zauberhafte Unbekannte führte. Nomadin werde ich mein ganzes Leben lang bleiben, verliebt in wechselnde Horizonte, fernab und unerforscht. Denn jede Reise, selbst die in die am meist besuchten und bekanntesten Gegenden ist eine Entdeckung ! Isabelle Eberhardt

Isabelle Eberhardt wird 1877 in Genf, als uneheliche Tochter der deutsch-baltischen Nathalie Eberhardt und ihrem russischen Geliebten Alexander Nikolajewitsch Trofimowski, geboren. Bevor sich ihre Mutter gemeinsam mit ihrem Geliebten und den drei jüngeren Halbgeschwistern Isabelles am Genfersee niederliess, lebte sie mit ihrem Ehemann in Russland, wo sie den Philosophen, Anarchisten und späteren Lebensgefährten Trofimowski als Hauslehrer ihrer Kinder kennenlernte. Die Villa am Genfersee, in der Isabelle aufwuchs, wird ihr schnell zum Gefängnis. Trofimowski verbot allen Kindern jeglichen Kontakt zur bürgerlichen Welt, sie durften das Haus nicht verlassen und wurden ausschliesslich von ihm unterrichtet. Isabelle muss kurze Haare und Jungenkleider tragen. Eine Fassade, die sie sich für den Rest ihres Lebens erhält und die ihr noch manche, für Frauen dieser Zeit sonst verschlossene Türen öffnen wird. Der einzige Ausweg aus dem goldenen Käfig der Genfer Villa sind für sie die unzähligen Bücher und Schriften, die sich in der Bibliothek des hoch gebildeten Vaters stapeln. Mit 12 Jahren beherrscht Isabelle vier Sprachen fliessend, liest griechische und lateinische Schriften und bringt sich selbst arabisch bei. Während sie aus ihrem Fenster auf die verschneiten Gipfel des Schweizer Jura blickt, liest sie Romane aus dem fernen Orient und beginnt sich mehr und mehr in diese Welt hineinzuträumen, die später zu ihrer Identität wird.  Der Orient, die Wüste und der Islam so schreibt sie, sind ihr eigentliches wahres zu Hause nachdem sich ihre Seele sehnt.

 

Als Isabelle 20 Jahre ist, reist sie gemeinsam mit ihrer Mutter das erste Mal nach Algerien, die sich dort Erholung von ihrer Krankheit erhofft. Auf dieser Reise konvertieren beide Frauen zum Islam, eine Entscheidung die das Leben der jungen Schriftstellerin weiter in die von ihr erträumte Richtung lenkt. Als Mann verkleidet nimmt Isabelle am täglichen Leben Algeriens Teil, hat Kontakt zu Studentenkreisen und zieht gemeinsam mit jungen algerischen Männern durch Kneipen und Bordelle. Sie übernimmt die Glaubensregeln des Islam wie Waschung, Gebet und Fasten und bricht diese gleichzeitig durch ihren Konsum von Alkohol und Drogen, ringend nach ihrer neuen Identität und im verzweifelten Versuch, mit dieser auch ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Ihre Mutter stirbt noch im selben Jahr und Isabelle reist allein weiter nach Tunis. Unter dem arabischen Decknamen „Si Mahmoud Saadi“ wandert sie durch die Wüste und lebt eine Zeit lang bei nordafrikanischen Beduinen. Als ein Jahr später auch ihr Vater stirbt und ihr Bruder Wladimir Selbstmord begeht, kehrt sie für kurze Zeit in ihre Schweizer Heimat zurück.

Schon im Jahr 1900 zieht sie wieder los – allein mit ihrem Pferd in die Sahara. In der Oase „El Qued“ lernt sie den jungen Algerier Sliméne Ehni kennen, der von da an ihr Geliebter und Wegbegleiter ist. Ihrer Liebe zum Islam folgend tritt Isabelle 1901 dem Sufi Orden „Kadriya“ bei und wird ein paar Wochen später von einem religiösen Fanatiker mit einem Säbel angegriffen und verletzt. Im Gerichtsprozess wird ihr der eigene freie Lebensstil zum Verhängnis. Die algerischen Staatsbeamten sind skeptisch gegenüber einer solchen Frau und wittern in ihr eine ausländische Spionin. Sie wird des Landes verwiesen, reist nach Marseille und ruft ihren Geliebten Sliméne zu sich. Die beiden heiraten und schon 1902 hat Isabelle mit der französischen Staatsbürgerschaft alle nötigen Papiere zusammen, um erneut in ihre Wahlheimat Algerien einzureisen. Mit Sliméne verwirklicht sie einen Teil ihres Traumes vom Lehmhaus auf dem Land und ihren gleichzeitigen Reisen in die Wüste, zu denen sie nach wie vor immer wieder aufbricht. Glück findet Isabelle jedoch immer nur für kurze Zeit, niemals dauerhaft. Nicht einmal im Land ihrer kindlichen Sehnsüchte und auch nicht in der Weite des Sandmeers, unter dem endlosen Sternenhimmel der Sahara kann ihre tiefe Trauer gestillt werden.

 

Es mag grotesk erscheinen darüber nachzudenken, ob ein aussergewöhnliches Leben auch einen ebensolchen Tod bedingt. Isabelle stirbt im jungen Alter von nur 27 Jahren. Nach einer schweren Malariaerkrankung verlässt sie auf eigenen Wunsch frühzeitig das Militärkrankenhaus von Ain Safra und kehrt in ihr Lehmhaus zurück. Noch in derselben Nacht überfluten starke Regenfälle das Tal. Häuser, Tiere und Wüste versinken in den Fluten. Isabelle mit ihnen.

In einem beeindruckenden Wechsel von Gefühlstiefe und sachlicher Wiedergabe verwebt Anina Jendreyko die deutschen und französischen Textpassagen miteinander, wechselnd zwischen den Tagebucheinträgen Isabelle Eberhardts und den fliessend eingebundenen Hintergrundinformationen. Die gebürtige Irakerin Faten Alabbas bringt mit ihrer warmen, tragenden Stimme in gesungenen und gesprochenen arabischen Passagen jene Melancholie und poetische Kraft in das Hörspiel, die in all den Zwischentönen des Textes spürbar ist. Daniel Steiner ist währenddessen in einer Art Performance zu beobachten, während er vertieft und hochkonzentriert die Tontechnik bedient. Dank seinem klanglichen Feingefühl werden die Sprachen simultan miteinander verwoben, Worte mit Klanglandschaften untermalt und die Weite der Wüste nicht nur hör- sondern auch fühlbar.

 

 

Über Tina Jamila

Tina ist in Deutschland aufgewachsen und hat sich seit 2016 die Schweiz als ihre Wahlheimat ausgesucht. Sie ist studierte Musikwissenschaftlerin und arbeitet als Journalistin, Kinesiologin und Coachin. Am liebsten schreibt sie über Themenfelder aus Umweltschutz, Nachhaltigkeit, sowie interkulturelle und partizipative Projekte.

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