Brilliante Frauen

Gute Erinnerungen tragen uns stets durch das Leben.

Es war ein Mittwoch im Deutschkurs im Jahr 2010, als mir meine Lehrerin eine Schreibwerkstatt bei Caritas empfahl. Die Ideengeberin ist die Journalistin Andrea Keller, die diesen Kurs zusammen mit der Schriftstellerin Tanja Kummer leitet, erzählte sie.

„Prima Idee“, sagte ich. „Brilliante Frauen“.

„Ja ja“, sagte die Lehrerin. “ Die sind wie diese zwei Marienkäfer an deinem Arm.“
Ich sah überraschend zwei Marienkäfer auf meinem rechten Arm.„Lass Marienkäfer selber fliegen, und egal wo sie hinfliegen, sie sind immer unsere Glücksbringer!“ sagte sie.

In der folgenden Woche war ich das erste Mal in der Schreibwerkstatt.
Es war wunderbar. Es war so, wie weit weg zu sein von jeglicher Armut meines Alltags.
Fantastisch. Doch gleichzeitig dürfen wir Armut auch zeigen und müssen sie nicht in unseren Taschen verstecken.

Der weisse Tisch war schnell gedeckt mit vielen Heftern, mit Wasser, Früchten und weiteren Dingen. Ein wahrhaft sehr reich gedeckter Tisch!

Tanja und Andrea verzauberten uns mit Schreibübungen. Im Raum schwebte Ruhe.

“Armut braucht Mut, oder?”, flüsterte ein Teilnehmer. “Es ist ein Erlebnis, aber ich denke nicht darüber nach. Ich kenne in dieser Sprache einige Worte nicht, kannst du mir dabei helfen?”, fragte ich. “Naja, das geht nur wenn ich Zeit habe“, war seine Antwort. „Ich gebe dir aber dieses dekorierte Herz als Amulett. Meine Mutter hat es mir einst gegeben und ich schenke es nun dir.”

Ich suchte nun oft selbst die Wörter mit Hilfe des Herz-Amuletts, aber manchmal bekam ich auch Hilfe von anderen Herzen. Wir schrieben über soziale Themen. Wir waren bereit, über Schatten zu springen, um Armut zu definieren und offen zu thematisieren.
Genau das war unser Ziel.

Zum Abschluss der Schreibwerkstatt gab es ein Forum und verschiedene Veranstaltungen. Es kamen viele Menschen, darunter auch zahlreiche Politiker*innen. Ausserdem gab es Lesungen in Zürich, Luzern, im Aargau und in Bern.

So wurden wir so etwas wie eine bekannte Familie.
Manche sagten uns: “ Armut ist uralt.”
Und Andere sagten: “ Es wird besser – bald,bald…“

Es war ein kalter Winter. Wir marschierten wie eine Armee. Unsere Waffen waren sehr stark: Kugelschreiber, Metaphern und Fakten. Das Publikum wunderte sich über uns und sie stellten uns viele Fragen. In einer Lesung gab es besonders viel Publikum. Wir hatten ein wenig Angst.

“Ihr seid super!”, ermutigten uns Tanja und Andrea. Einer von uns sprach ein Gebet: “Lieber Gott, lass uns in deiner Hand, ab jetzt bis acht Uhr !“

„Und wenn ich nicht bis acht fertig bin?“, fragte ich lachend.
„Mach dir keine Sorgen, dann kannst du noch ein nächstes Gebet sprechen“, anwortete er. „Ab acht und noch viel länger“, sagte ich daraufhin.

Wir hatten gemeinsam viel Spass in der Schreibwerkstatt, haben viele Debatten geführt, Komplimente erhalten und die Medien haben über uns berichtet.
Es waren auch Tränen dabei, doch Tränen heilen Wunden.

In Winterthur, während der Lesung habe ich meine Brille verloren und
eine Brille ohne eine Brille wiederzufinden, ist eine schwere Angelegenheit.
Zum Glück hatte eine andere Teilnehmerin zwei Brillen dabei und so konnte auch ich die Texte vorlesen.

Unsere erste grosse Chance war es schliesslich, für den Züri Blog Beiträge zu schreiben.
Das Leben ändert sich schnell und dabei gibt es auch immer wieder Abschiede.
Andrea und Tanja sind inzwischen nicht mehr in diesem Projekt. Sie waren Vorbilder und Anker für uns alle.

Wir haben vieles gelernt, vieles erlebt und zum Abschied sage ich euch:
You made my pen!

Nie werde ich die Worte meiner Lehrerin vergessen:

„Lass Marienkäfer selber fliegen, und egal wo sie hinfliegen, sie sind immer unsere Glücksbringer!

 

Dieser Text über das Schreiben, Armut und Marienkäfern wurde bei der Veranstaltung „Eine Milione Sterne“ des Caritas Zürich am 14.12.019 von der Autorin vorgetragen.

Über Hava

Hava Kurti Krasniqi ist Albanerin aus dem Kosovo. Die Journalistin lebt in Zürich und arbeitet als Scriptwriterin und Buchautorin. Ihr neuestes Buch ist über Geschichten vom Fussball Feld. Sie ist auch als Kulturvermittlerin und Moderatorin beim Femmes Tische engagiert.

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