Die Frauen im Schatten des Radikalismus in Afghanistan

Wenn wir über die Rechte der Frauen sprechen, zeigt sich Afghanistan als eines der schlimmsten Länder für die Frauen dieser Welt.

Ja, Frauen leiden unter Ungerechtigkeit und Diskriminierung in meiner Heimat. Das ist kein neues Thema. Bereits meine Mutter, meine Grossmutter und noch weitere Generationen haben diese Schwierigkeiten erlebt. In einem Land, wo Frauen keinen Wert haben und wo Frau zu sein nichts bedeutet, konnte kaum eine Revolution durch Frauen entstehen. Hauptgründe dafür waren das Analphabetentum der Frauen und die Religion, die der weiblichen Bevölkerung auch sonstige Aus- und Weiterbildung verweigerte. Frauen, wie meine Mutter, sollten in der Dunkelheit des Schattens, der die Religion und die Patriarchie auf sie wirft, aufwachsen. Ohne Mut entwickeln zu können um für ihre Rechte einzustehen und zu kämpfen.

Vor etwa 50 Jahren führten zwar nicht alle Frauen, aber doch die meisten die in den grossen Städten lebten, ein gutes Leben in Afghanistan. Sie waren wie die Männer an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen des Landes beteiligt. Frauen konnten damals zum Beispiel Universitäten besuchen ohne Angst zu haben und ohne Hijab zu tragen. Ähnlich wie die Frauen in Europa. Der obligatorische Hijab existierte nicht. Frauen und Männer waren gleichberechtig und sie konnten einfach an gesellschaftlichen und politischen Themen teilnehmen. Die Schule war nicht nur für Junge obligatorisch, sondern auch für Mädchen. 1919 wurde in Kabul die erste Mädchenschule eröffnet. Am Anfang wurde sie nur von 50 Schülerinnen besucht. Aber später stieg die Anzahl bis auf 800 Mädchen. Obwohl alle mit der damaligen Regierung unzufrieden waren, vermissen wir nun diese Jahre als die Zeit, in der sich alle im Land wohl gefühlt haben. Es war eine Zeit des Friedens, die man mit der Familie und Freunden an einem Ort verbrachte, den man Heimat nennen konnte.

Nachdem die Taliban und Mujaheddin das Land unter ihre Kontrolle gebracht hatten, dauerte es nicht lange, bis das Land von religiösen und ethnischen Konflikten gezeichnet war. Während der Regierungszeit der Taliban von 1996 bis 2001 wurde das System der Taliban international bekannt, vor allem wegen ihrer Behandlung und Misshandlung von Frauen.

Die Frauen mussten in der Öffentlichkeit Burka tragen. Nach den Regeln der Taliban durften die Gesichter der Frauen von Fremden nicht gesehen werden. Es wurde den Frauen verboten zu arbeiten und ab dem Alter von acht Jahren unterrichtet zu werden. Der Unterricht war auch für Jungen auf die Lehre des Korans beschränkt. Frauen und Mädchen, die sich auch danach für Bildung interessierten, mussten verborgen im Untergrund geheime Schulen besuchen. Sie mussten dabei sehr vorsichtig sein. Denn falls sie mit ihrem Lehrer entdeckt wurden, riskierten sie die Todesstrafe. Sie wurden entweder während feierlicher Spektakel in Sportstadien und auf Markplätzen oder mit spontanen Schlägen auf der Strasse bestraft. Die Frauen, die Verordnungen missachteten, wurden oft Opfer von Gewalt.

Frauen durften keine Schuhe mit hohem Absatz tragen. Gemäss der Taliban hätten sie sonst sexuelle Erregung bei den Männern auslösen können. Sie durften nur mit einem männlichen Blutsverwandten und mit einer Burka bedeckt auf die Strasse oder zum Arzt gehen. Aus diesem Grund blieben damals viele Krankheiten von Frauen unbehandelt.
Tausende Menschen sind während dem jahrzehntelangen Krieg getötet und verletzt worden. Millionen Afghanen mussten das Land verlassen und sind in die Nachbarländer, nach Europa und Australien geflüchtet. Tausende Frauen und Kinder wurden grausam vor den Augen ihrer Familien getötet, vergewaltigt und ihre Brüste und Nasen wurden verstümmelt. Die gute Zeit war zu schnell vorbei und sie hatten keine Chance, an ein richtiges Leben zu denken.

Nachdem die Twin Towers in New York am 11. Sep. 2001 von Al-Qaida angegriffen worden waren, marschierten tausende US-Soldaten in Afghanistan ein. Die Hoffnung der Afghanen, nun die Taliban und Al-Qaida loszuwerden, war gross.
Die Taliban-Kämpfer wurden aus Kabul und anderen grossen Städten vertrieben und die Afghanen waren gespannt zu sehen, wie lange die neue Sicherheit im Land bestehen bliebe. Während dieser Zeit kehrten tausende geflüchtete Afghanen aus den Nachbarländern wieder nach Afghanistan zurück. Milizen der Taliban griffen immer wieder ausländische Truppen, Regierungssicherheitskräfte und Regierungsgebäude an. Das afghanische Volk war froh um die militärische Präsenz der USA, die afghanische Regierung und die Perspektive für die Zukunft. Trotz vieler weiterer Angriffe und Explosionen haben sie angefangen, das zerstörte Land wiederaufzubauen.

Vor allem für die Frauen war es ein neuer Anfang. Sie bekamen ihre Freiheit zurück und die Mädchen konnten wieder in die Schule gehen. Die Regeln der Taliban waren aufgehoben und Mädchen und Frauen fühlten sich frei wie die Vögel im Himmel. Dieses Mal sind sie erstarkt aus der Unterdrückung hervorgegangen. Mit der Unterstützung der Regierung bekamen sie ihr eigenes Ministerium, das „Frauen-Ministerium“ und auch ein paar Minister- und Gouverneursposten wurden durch Frauen besetzt. Die Frauen sollten also wieder mitreden können in verschiedenen Bereichen des Landes. Obwohl es in der männlich dominierten Gesellschaft sehr schwierig war, haben es die Frauen geschafft, für ihre Rechte zu kämpfen. Und sie haben sich bis heute ziemlich viele Freiheiten bewahren können.

Das Leben für Frauen in Afghanistan ist immer noch nicht ideal, aber wenn man die aktuelle Situation mit der Zeit der Taliban vergleicht, sieht man eine grosse Veränderung. Doch obwohl heutzutage die Frauen einige Rechte haben, gibt es immer noch Probleme wie Zwangsheirat, obligatorischer Hijab und Strafen durch religiöse Führer in den Städten und Dörfern. Das Schlimmste passierte 2015 einer Frau Namens Farkhunda in Kabul. Sie wurde der Verbrennung des Korans verdächtigt und deshalb zuerst von Afghanen gewaltsam verprügelt und dann getötet. Ihre Leiche wurde von den wütenden Männern auf dem Fluss in Kabul verbrannt. Was ihr angetan wurde, verletzte die Seele aller Frauen und die Geschichte wird das nicht vergessen.

Maryam Shahed

Beitragsbild aus dem Buch AFGHAN DREAM der Französische Fotografin SANDRA CALLIGARO.
Mehr Info http://www.sandracalligaro.com/index.php/afghan-dream/

Über Maryam Shahed

Maryam Shahed ist im Iran geboren. Als sie 11 Jahre alt war, zog sie mit ihrer Familie in ihr Heimatland Afghanistan. Dort arbeitete sie als Kamerafrau, Fernseh- und Radiomoderatorin sowie als Buchhalterin. 2011 hat sie in Afghanistan geheiratet und ein Kind geboren. Als ihr Mann 2014 aus politischen Gründen das Land verlassen musste, reiste sie mit ihm und ihrer Tochter in die Schweiz. In Bern arbeitet sie als Kinderbetreuerin und als Kursleiterin beim Kompetenzzentrum Integration.

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